Studien


Langzeitstudie zu Spätfolgen nach Infektion mit SARS-CoV-2

Die neurologischen Fachkliniken Beelitz führen in Zusammenarbeit mit der neurologischen Post-COVID-19 Ambulanz der Charité Berlin unter Leitung von Dr. Christiana Franke eine Langzeitbeobachtungsstudie zu den kognitiven Spätfolgen nach Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 durch. Mit dieser wissenschaftlichen Studie soll ein Beitrag geleistet werden, den Erholungsverlauf von COVID-19 Patienten systematisch über einen längeren Zeitraum zu erfassen und anhaltende Residualsymptome (Symptome, die nach einer Ausheilung oder Therapie einer Erkrankung weiterhin bestehen) besser beschreiben zu können.  

Der akute Krankheitsverlauf bei COVID-19 ist sehr unterschiedlich. Bei der Mehrzahl der Erkrankten kommt es zu einem leichten Verlauf mit weniger schwerwiegenden Symptomen oder die Infektion verläuft sogar beschwerdefrei. Bei schweren Verläufen können die Symptome so stark ausgeprägt sein, dass eine intensivstationäre Behandlung der Patienten erfolgen muss. Unabhängig vom Verlauf der Akutinfektion gibt es Berichte über Wochen und Monate anhaltende Beschwerden wie z.B. starke, anhaltende Ermüdung, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Angst und Depression (auch beschrieben als Post-COVID Symptomatik sofern die Symptome 12 Wochen nach der Akutinfektion weiterhin andauern und nicht durch andere Diagnosen erklärt werden können). Die Beschwerden können zu erheblichen psychosozialen Einschränkungen im Beruf, und Alltag und Einbußen der Lebensqualität führen. 

Die Datenlage zur Post-COVID-19 Symptomatik ist aktuell noch sehr begrenzt und bezieht v.a. Erfahrungsberichte und retrospektive Analysen mit ein. Es ist noch nicht vollständig bekannt, welche kognitiven und emotionalen Langzeitfolgen nach einer COVID-19 Infektion auftreten, wie ausgeprägt, leistungs- und alltagsbeeinträchtigend diese sind und ob es möglicherweise Risikofaktoren gibt, die die Entwicklung einer Post-COVID Symptomatik wahrscheinlicher machen. Von Patienten mit intensivpflichtigen Aufenthalt ohne begleitende COVID-19 Infektion sind ebenfalls Langzeitfolgen unter dem sogenannten Post Intensiv Care Syndrom (PICS) beschrieben. Es ist derzeit unklar, welchen Einfluss ein längerer intensivmedizinischer Aufenthalt bei COVID-19 Patienten auf die Post-COVID Symptomatik hat, bzw. ob Patienten mit PICS ohne eine COVID-19 Erkrankung dieselben Langzeitsymptome zeigen. Zudem soll untersucht werden, welche Post-COVID Symptome Patienten mit mildem Verlauf ohne Krankenhausaufenthalt  zeigen.

Für die Langzeitbeobachtung werden eine Vielzahl von Parametern wie beispielweise Tests zu Aufmerksamkeit und Gedächtnis wiederholt während des Klinikaufenthalts und später in der neurologischen Post-COVID-19 Ambulanz erhoben. Schwerpunkt ist die Erfassung kognitiver Daten anhand standardisierter Tests, aber auch die Patientenperspektive (Selbstberichte über Befinden und kognitive Leistungen) wird mit einbezogen. Die Erkenntnisse sollen helfen, die verschiedenen Verläufe bei den unterschiedlichen Patientengruppen (intensivpflichtiger Aufenthalt mit und ohne COVID Infektion, milder Verlauf) besser zu verstehen und auf dieser Basis bedarfsorientiert angemessene fächerübergreifende Nachsorgeangebote zu entwickeln.

Studienleitung: Frau Dr. Christiana Franke 

Diese Studie wird durch den Medizinischen Beirat der Recura Kliniken GmbH gefördert.

Die Studie wird unter DRKS00025523 im Deutschen Register Klinischer Studien geführt. 

 

Transkranielle Hirnstimulation (tDCS) zur Verbesserung der Neglectsymptomatik nach Schlaganfall

Die frühe (subakute) Phase nach Schlaganfall (< 4 Monate) ist gekennzeichnet durch eine erhöhte Fähigkeit des Gehirns zur Neu- und Umstrukturierung (Neuroplastizität) und bietet damit ein ideales Zeitfenster für intensive rehabilitative Behandlungen. Untersuchungen haben gezeigt, dass durch zusätzliche Therapie die Erholung während dieser Phase weiter intensiviert werden kann. Eine mögliche Methode Reorganisationsprozesse zu unterstützen stellt dabei die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) dar, v.a. in Ergänzung zu den bestehenden Therapiemöglichkeiten. Nervenzellen kommunizieren über elektrische Signale und können somit über elektrische Impulse beeinflusst werden. Bei der tDCS wird ein schwacher Strom über Messaufnehmer auf die Kopfoberfläche verabreicht, um die neuronale Erregbarkeit der Hirnrinde zu beeinflussen. Sie gilt als weitgehend schmerzfrei und wurde im Zusammenhang mit anderen schlaganfallassoziierten Störungen (motorischen Störungen, Sprachstörungen) bereits in klinischen Studien erprobt. Die Anwendung von tDCS bei Neglect ist jedoch noch nicht sehr gut untersucht, aber es gibt auch hier erste Hinweise auf förderliche Effekte. Die Wirkung der Hirnstimulation ist von verschiedensten Faktoren abhängig und Stimulationsprotokolle müssen den jeweiligen Störungsbildern angepasst werden.

 

  • Pilotstudie 1: Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) bei subakuten Neglect- Implementierung einer experimentellen Intervention in eine randomisierte klinischen Studie

Die Gewebsverteilung im Gehirn beeinflusst wie gut die elektrischen Impulse (die an der Kopfoberfläche verabreicht werden) weitergeleitet werden. Bei Schlaganfall kommt es zu Veränderungen und Verlust von Nervengewebe. Um dem entgegenzuwirken, wird angenommen, dass etwas höhere Stromdichten erforderlich sind, um klinisch relevante Effekte zu erzielen. Höhere Stromdichten können mit sensorischen Beschwerden (z.B. unangenehmes Kribbeln) einhergehen. In Pilotstudie 1 wird zunächst die Verträglichkeit bei Verabreichung einer etwas höheren Stromdichte (0,8 A / m²) und Angemessenheit einer Kontrollbedingung (Verblindung) geprüft, da eine adäquate Verblindung Voraussetzung für die Durchführung von Placebo-kontrollierten Studien darstellt.

Pilotstudie 1 ist abgeschlossen und publiziert in BMC Research Notes:

doi: https://doi.org/10.1136/bmj.l5101 (12/2020)

 

  • Pilotstudie 2: Wirksamkeit von zwei unterschiedlichen tDCS Protokollen zur Verminderung der visuellen Neglectsymptomatik bei subakuten Schlaganfallpatienten

Je nach Polarität der tDCS kann die Aktivität der darunterliegenden Hirnrinde heraufreguliert (angeregt) oder herabreguliert (gehemmt) werden. Ein Neglect wird mit gestörten Funktionen in fronto-parietalen Aufmerksamkeitsnetzwerken in Verbindung gebracht. Bei Gesunden hemmen die beiden Hirnhälften sich gegenseitig in ihrer Aktivität (interhemispherische Ballance). Durch den Schlaganfall kommt es zu einem Ungleichgewicht. Während die geschädigte Hirnhälfte unteraktiviert ist, ist die gesunde Hirnhälfte überaktiviert. Daraus ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten (Protokolle) für die Anwendung von tDCS. In Pilotstudie 2 soll die Wirksamkeit zweier unterschiedlicher tDCS Protokolle bei linksseitigem Neglect (rechtsseitiger Schlaganfall) getestet werden. tDCS wird in beiden Fällen über parietalen Hirnregionen verabreicht. Geprüft wird, ob eine einseitige Aktivierung der geschädigten (unipolares Protokoll) oder eine Aktivierung der geschädigten mit gleichzeitiger Aktivitätshemmung der gesunden Hirnhälfte (bipolares Protokoll) effektiver in Bezug auf die Verminderung der visuellen Neglectsymptomatik ist.

Pilotstudie 2 ist abgeschlossen und publiziert in Brain & NeuroRehabilitation (07/22)

https://doi.org/10.12786/bn.2022.15.e19

 

  • Therapiestudie Optokin-tDCS: Kombination von transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) mit optokinetischer Stimulation zur Rehabilitation von subakuten Neglectpatienten

Aufbauend auf Pilotstudie 1 und 2 soll in dieser Studie geprüft werden, ob die Wirksamkeit einer intensiven optokinetischen Stimulation (OKS, 2 Wochen) durch zusätzlich verabreichte Hirnstimulation gesteigert und die Rückbildung des Neglects bereits in der Frühphase beschleunigt werden kann. Bei der OKS werden sich langsam bewegende Punkte/Muster zunächst mit den Augen fixiert und dann bis in den vernachlässigten Bereich hinein verfolgt. Aufgrund der geringen kognitiven Anforderungen kann OKS bereits in der Frühphase eingesetzt werden. Mit der Darbietung der OKS an der Leinwand (statt wie üblich am PC-Bildschirm) kann die Peripherie des Gesichtsfeldes besser erreicht und damit OKS auch bei schwerer betroffenen Patienten angewendet werden. Durch die Kombination von OKS und tDCS sollen neuroplastische Prozesse frühzeitig (im Zeitfenster erhöhter Neuroplastizität) optimal angeregt und die beeinträchtigende Neglectsymptomatik reduziert werden. Ziel ist es durch die kombinierte Anwendung das Rehabilitationsergebnis möglichst nachhaltig und alltagsrelevant zu verbessern.

Studienstart: geplant für Frühjahr 2023

Studienleitung: Frau Prof. Dr. Anna Gorsler

Studienmitarbeiter: Dr. phil. Nadine Külzow, Doreen Ernst (Orthoptistin) 

Studienärzte: Dr. Daniel Harnack, Dr. Peter Koßmehl

Die tDCS Studien werden durch den Medizinischen Beirat der Recura Kliniken GmbH gefördert.

 

Auswirkungen von endeffektorgesteuertem Gangtraining im Vergleich zu Stehtraining auf posturale Stabilität, Gehfähigkeit und die subjektive visuelle Vertikale (SVV) bei nicht gehfähigen Patienten mit linksseitigem Neglect (GaiNer)

Gehfähigkeit ist wichtig für die Wiedererlangung der Selbstständigkeit im Alltag. Die Vernachlässigungssymptomatik bei Neglectpatienten kann das Wiedererlangen von Gehfähigkeit erschweren (Kerkhoff & Schenk, 2012). Welche Rolle mit dem Neglect assoziierte Störungen für die Wiederherstellung der Gehfähigkeit spielen, ist weitgehend unklar. Als häufiges Begleitsymptom werden Missempfindungen in der Wahrnehmung der Erdsenkrechten beobachtet (Verkippung der subjektiven visuellen Vertikalen >2°), die insbesondere nach rechtsseitigem Schlaganfall deutlich ausgeprägter sind und größeren Schwankungen unterliegen. Um Vertikalität wahrzunehmen integriert das Gehirn Informationen aus verschiedenen Systemen wie dem vestibulären (Gleichgewichtssystem), somatosensorischen (die Körperwahrnehmung betreffend, z.B. Stellung von Körperteilen im Raum) und visuellen System. Die Missempfindungen der Vertikalität werden von den Betroffenen nicht bewusst wahrgenommen. Die Vertikalitätswahrnehmung ist aber bedeutsam, denn sie steht in enger Beziehung zur Balance, einen Hauptfaktor für Haltungsinstabilitäten (Bonan et al., 2006) und ist eine wichtige Komponente für die Bewegung und Koordination im Raum. Eine starke Verzerrung der subjektiven Vertikalitätswahrnehmung kann damit die Rehabilitation der Gehfähigkeit erschweren. In dieser Studie soll geprüft werden, ob es einen systematischen Zusammenhang zwischen Rumpfstabilität, der Rehabilitation der Gehfähigkeit und subjektiven visuellen vertikalen Wahrnehmung gibt und ob eine schlechtere Gehfähigkeit bei Neglectpatienten durch eine frühzeitige Gangtrainer Intervention verbessert werden kann.

Studienleitung: Frau Prof. Dr. Anna Gorsler

Studienmitarbeiter: cand. M. Sc. Neurorehabilitation Carina Müske, Dr. phil. Nadine Külzow, Doreen Ernst (Orthoptistin)

Studienärzte: Dr. Daniel Harnack, Dr. Peter Koßmehl, Dr. Günther Wihl, Dr. Christina Hofmann-Shen

Kooperation: Prof. Dr. Jan Mehrholz, Neurorehabilitation, SRH Gera

Diese Studie wird durch den Medizinischen Beirat der Recura Kliniken GmbH gefördert.

 

Kooperationsprojekte:

Neurologisches Rehabilitations-Outcome von Patienten mit COVID-19-Erkrankung (NRO-COV-50)

Das SARS-Corona-Virus-2 (CoV2) verursacht die Erkrankung COVID-19. Seit dem 1. Quartal 2020 sind im Rahmen der aktuellen Pandemie bereits über fünf Millionen Menschen weltweit mit dem Virus infiziert. Immer deutlicher zeigt sich, dass COVID-19 nicht nur eine Erkrankung von Atemwegen und Lungen ist, sondern auch zu multiplen Manifestationen in anderen Organen führt. Neurologische Symptome scheinen bei 30-84% der hospitalisierten COVID-19-Fälle aufzutreten (Mao et al. 2020; Helms et al. 2020; Schenk 2020). Die Rate und der klinische Verlauf von COVID-19-assoziierten neuromuskulären Manifestationen, wie z.B. Critical-Illness-Polyneuropathie oder -Myopathie (CIP/CIM) sind bisher nicht veröffentlicht worden. Auch ohne COVID-19 betrifft CIP/CIM 45%-90% der intensivmedizinisch behandelten Patienten aller Fachgebiete, die einen komplizierten oder mehrtägigen Intensivstationsaufenthalt hinter sich haben (Latronico et al. 2011; Jolley et al. 2016). Es ist bisher nicht klar, ob sich Schweregrad und Verlauf der CIP/CIM nach COVID-19 unterscheidet von dem anderer CIP/CIM-Ursachen. Es ist bisher auch unklar, wie weit sich COVID-19-Patienten mit neurologischen Rehabilitationsdiagnosen langfristig von den neurologischen Folgen der Erkrankung erholen.

In einer multizentrischen kombiniert retro- und prospektiven Kohortenstudie soll untersucht werden

(i.) wie der klinische Verlauf von COVID-19-Patienten in der Neurologisch-Neurochirurgischen Frührehabilitation ist,

(ii.) wie sich entsprechende Patienten mittel- bis langfristig (3 und 6 Monate) wieder von der

Erkrankung erholen (Outcome) und

(iii.) ob sich der klinische Verlauf und das Outcome von COVID-19-CIP/CIM-Patienten

unterscheidet von CIP/CIM-Patienten anderer Ursachen

Projektkoordinator: Prof. Dr. Andreas Bender (Neurologische Klinik München)

 

 

Abgeschlossen

Kooperationsprojekt: Körperliche Fitness bei subakuten Schlaganfällen (PHYS-Stroke)

Die Zahl der Patienten nach Schlaganfall, die dauerhaft an Defiziten leiden (auf der Funktions-, Aktivitäts- und Partizipationsebene), steigt in Deutschland ebenso wie weltweit an. Daher sind neue Strategien, die diese Defizite im Rahmen der Rehabilitation verbessern, von größtem Interesse. Körperliche Aktivität, die ein kardiovaskulär wirksames Training vermittelt (aerobes Fitnesstraining), könnte hier eine viel versprechende adjuvante Therapie darstellen. Durch ein solches Training, z. B. mittels einer Laufbandtherapie appliziert, ließe sich neben einer Verbesserung der körperlichen Fitness und der Gehfähigkeit auch die Lernfähigkeit des Gehirns an sich steigern, beispielsweise durch eine aktivitätsinduzierte Freisetzung von Nervenwachstumsfaktoren, mit positiven Auswirkungen auf Sprache u. Kognition, Aktivitäten des täglichen Lebens sowie Lebensqualität. Da es aber bisher noch kein allgemein akzeptiertes Vorgehen zu aeroben Fitnesstraining in der subakuten Phase nach Schlaganfall gibt, sind kontrollierte randomisierte Studien dringend erforderlich. Diese Lücke versucht die Phys-Stroke Studie in Verbindung mit, kooperierenden Rehabilitationszentren der Berliner Schlaganfallallianz zu schließen.

PHYS-Stroke: Die vom BMBF geförderte Studie ist abgeschlossen. Die Ergebnisse sind im British Medical Journal veröffentlicht worden (doi: https://doi.org/10.1136/bmj.l5101). Die Forschungsgruppe der Kliniken Beelitz beteiligt sich an den weiteren Auswertungen der Studie.

Studienleitung: Prof. Dr. med. Agnes Flöel (AG Kognitive Neurologie, Universitätsmedizin Greifswald)

(Interview beim rbb (https://www.rbb-online.de/rbbpraxis/rbb_praxis_service/neurologie/sport-schlaganfall-reha.html))