Guillain-Barré Syndrom? Das kenne ich nicht, noch nie gehört


Herr Kraus mit Schülern Herr Kraus mit Schülern beim Brettspiel

Beginn der Krankheit

Unser Skiurlaub in den Zillertaler Alpen war erst vor kurzem zu Ende gegangen und die Arbeit im Reisebüro machte wieder so richtig Spaß.

Wenig später bekam ich heftigen Durchfall, mit Übelkeit und leichtem Fieber. An Arbeit war da erst mal nicht mehr zu denken. Da sich am dritten Tag, einem Mittwoch,  keine Besserung abzeichnete, suchte ich meinen Hausarzt auf, bekam ein Medikament verschrieben und konnte bereits am Freitag, den 31.März 2017, wieder arbeiten gehen. Die Freude hielt jedoch nicht lange an.

Am Dienstag, den 04. April, früh um 08.00 Uhr, bemerkte ich beim Herabsteigen der Treppe, dass meine Füße keine Spannkraft haben und das ein Geradeausgehen kaum möglich war. Meine Frau fuhr mich schnell zur Arbeit und pünktlich wurde das Büro geöffnet. Ich spürte eine allgemeine Schwäche im Körper und war erschrocken, dass ich einen Kuli und den Telefonhörer kaum halten konnte. Meine zittrige Handschrift sah schrecklich aus.

Sofort nach dem Eintreffen meiner Kollegin fuhr mich meine Frau zum Hausarzt.

Nach meiner Schilderung und Untersuchung wurde Blut abgenommen. Eine Diagnose konnte er nicht stellen, aber ein Schlaganfall wurde ausgeschlossen. Zurück zu Hause kam ich kaum noch die vier Etagen zur Wohnung hoch. Oben angekommen war ich völlig erschöpft, ein Zustand den ich so bisher nie erlebt hatte. Meine Frau legte mich auf die Couch und musste mich dann leider verlassen, Enkel betreuen.

Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht mehr so genau. Mein Zustand hatte sich jedoch weiter verschlechtert. Als meine Frau abends nach Hause kam, konnte ich mich kaum bewegen. Gehen war nur noch als Torkeln zu bezeichnen, meine Knie machten sich selbstständig, die Hände und Arme wurden kraftloser. So passierte es, dass ich vor der Toilette stürzte und nicht mehr auf die Beine kam. Mit größter Kraftanstrengung schaffte es meine Frau, mich in den Kniestand zu bringen und dann rückwärts auf die Toilette zu ziehen. Von dort ging es dann mit dem Drehstuhl des Arbeitszimmers direkt ins Bett, wo ich auch sofort einschlief. Es war 21.30 Uhr.

Die folgende Nacht schlief ich tief und fest.

Am nächsten Morgen erwachte ich und war entsetzt, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich war nicht in der Lage aufzustehen, geschweige denn mich irgendwo festzuhalten. Langsam kam Angst in mir auf.

Gegen 09.00 telefonierten wir mit dem Hausarzt, schilderten ihm meinen aktuellen Zustand und baten ihn, mich umgehend in das St. Josefs-Krankenhaus in Potsdam einzuweisen. Die Blutentnahme vom Vortag ergab keine relevanten Ergebnisse.

Mein Aufenthalt im Krankenhaus

Nach etwa einer Stunde war der Rettungsdienst bei mir, und die beiden Sanitäter mussten mich vom vierten Stock bis zum Krankenwagen tragen. An der Notaufnahme stauten sich die Rettungsfahrzeuge. Es war dort ein Riesenbetrieb. Trotzdem dauerte es nur wenige Minuten bis sich der erste Arzt um mich kümmerte.

Nach der umfassenden Befragung und Untersuchung äußerte er den Verdacht auf eine Nervenentzündung. Genaueres sollte eine Prüfung der Nervenleitgeschwin-digkeit und die Entnahme einer Nervenwasserprobe aus dem Rückenmarkskanal erbringen, was auch wenig später durchgeführt wurde.

Gegen 16.00 Uhr wurde mir im Beisein meiner Frau durch den Arzt mitgeteilt, dass man eine sehr sichere Diagnose meiner Krankheit hat. Der Befund lautete Guillain-Barré Syndrom (GBS). "Das kenne ich nicht, hab ich noch nie gehört" sagte ich zu dem Arzt. Typisch für diese Krankheit war die vorausgegangene Magen-Darm-Infektion. Man sagte mir, dass sich mein Zustand weiter verschlechtern wird, sogar mit Atemstillstand und auch Herzrhythmusstörungen zu rechnen sei. Daher wurde ich umgehend auf die Wachstation verlegt.

Etwa um 18.00 Uhr suchte mich der gleiche Arzt auf. Er informierte mich, dass er sich mit Kollegen beraten habe und ab dem morgigen Tag beginnend dreimal eine Plasmapherese ("Blutwäsche") durchgeführt wird. Man war sehr beunruhigt, weil sich mein Zustand extrem schnell verschlechterte. Um 20.00 Uhr war ich bereits im

OP-Raum, wo mir ein Katheter in die große Halsvene gesetzt wurde.

In der folgenden Nacht war an Schlaf kaum zu denken. Neben den immer stärker werdenden Schmerzen im Rücken und den Arm-und Beingelenken machte mir die Zukunft große Sorgen. Es flossen die ersten Tränen.

Donnerstag, der 06.04., war mein erster Tag als Vollpflegefall.

Er begann mit dem Setzen des Blasenkatheters (den ich dann über 100 Tage behalten sollte), Ganzkörperwaschung, Essen, Blutabnahme und dem ersten Aufenthalt im Dialysezentrum zur "Blutwäsche". Nachmittags war Visite und ich wurde umfassend über mögliche Verläufe der Krankheit und Therapiemöglichkeiten aufgeklärt. Hier erfuhr ich auch, das GBS zu den neurologischen Erkrankungen gehört, die eine gute Prognose haben und etwa zwei Drittel aller Patienten wieder vollkommen gesund werden. Allerdings ist die Dauer der Genesung sehr verschieden. Manchmal sind es Wochen, meistens jedoch Monate bis hin zu Jahren.

Das war ein Lichtblick für mich und holte mich aus dem "tiefen Loch" heraus, in welches ich gerade gefallen war. Obwohl sich mein Zustand weiter dramatisch verschlimmerte schöpfte ich Hoffnung. Meine Frau saß zu dieser Zeit fast den ganzen Tag am Krankenbett, und so ließ sich alles viel leichter ertragen.

Der Krankenhausalltag holte mich ein.

Sehr zeitiges Wecken, Temperatur- und Zuckermessung, Visite, Blutentnahmen, "Besuche" auf dem Schieber, Essensverabreichung, Bettwäsche- und Hemdenwechsel, Kontrollbesuche von Ärzten wechselten sich mit kurzen Schlafphasen ab. Alle zwei Stunden wurde ich auf eine andere Seite gedreht. In den Nächten lag ich sehr lange wach. Schmerzen plagten mich, obwohl ich Medikamente und nach einer Woche auch schmerzstillende Spritzen bekam. Weitere drei Plasmapheresen wurden angeordnet. Zu meiner großen Freude kamen ab dem 08.04. täglich Physiotherapeutinnen, die meinen völlig erschlafften Körper in Bewegung hielten. Ab und zu setzten sie mich kurzzeitig mit technischen Hilfsmitteln in einen Reha-Stuhl, was ich als sehr angenehm empfand.

Nach etwa 10 Tagen Krankenhausaufenthalt hatte ich den Eindruck, dass sich mein Zustand stabilisiert und nicht weiter verschlechtert. Auch die Ärzte bestätigten mir, dass wohl die Tiefphase überwunden ist und jetzt die sogenannte Plateauphase beginnt, in der die Krankheit scheinbar stillsteht. Ich war Gott sei Dank an einer künstlichen Beatmung vorbeigekommen.

Am Ostersonntag wurde mir gesagt, dass ich am Vortag Herzrhythmusstörungen hatte. Es sollten alle notwendigen Untersuchungen erfolgen. Den Sinn einer Herzkatheteruntersuchung zweifelte ich jedoch an, weil mein Kreislauf während der gesamten Zeit bisher völlig normal war. So beließ man es bei einer Ultraschall-untersuchung. Es war alles okay.

Die Tage im Krankenhaus näherten sich dem Ende.

Ich war frohen Mutes was die Zukunft betraf. Täglich war meine Frau stundenlang bei mir. Alle meine Freunde und Bekannten, meine gesamte Familie, mein Chef und meine Kollegen, auch Nachbarn hatten mich in den vergangenen fünfzehn schweren Tagen besucht. Sogar Freunde aus Kulmbach kamen und Briefe aus Tübingen trafen ein. Ich war sehr glücklich darüber, weil es meiner Psyche ungemein gut tat. Viele sagten mir später, dass sie vor dem ersten Besuch etwas Angst hatten, in welcher Verfassung sie mich antreffen würden. Sie waren erleichtert, weil ich ihnen beim Öffnen der Tür bereits entgegen lachte. Manche wurden offensichtlich auch nachdenklich als sie sahen, wie schlecht mein körperlicher Zustand war.

Einen freudigen Höhepunkt erlebte ich zu Mittag des 19. April.  Der behandelnde Oberarzt der Neurologie kam mit seinem Assistenzarzt zu mir. "Herr Kraus, wissen Sie es schon oder hat es sich doch noch nicht rumgesprochen? Morgen geht es zur Reha - nach Beelitz."

Ich kann meine Freude kaum beschreiben, mir standen Tränen in den Augen. Meine Wunschklinik. So nahe am Zuhause.

An dieser Stelle möchte ich mich persönlich und im Namen meiner Angehörigen bei den Ärzten des St. Josefs-Krankenhauses in Potsdam bedanken. Ihrer raschen und treffenden Diagnose sowie dem schnellen Einleiten aller medizinischen Maßnahmen und der guten Rundumbetreuung habe ich es zu verdanken, dass der Krankheitsverlauf rechtzeitig gestoppt wurde und mir weitere Unannehmlichkeiten erspart blieben. Den Krankenschwestern, Pflegern und Physiotherapeuten danke ich besonders für ihren fachlich kompetenten, einfühlsamen und stets freundlichen Umgang mit mir. Das hat mir die schwere Zeit im Krankenhaus erheblich erleichtert.

Die lange Zeit in der Rehaklinik

Am 20. April hieß es Abschied nehmen. Bis 09.30 Uhr war in meinem Zimmer ein ständiges Kommen und Gehen. Schwestern, Pfleger, Ärzte und die Physiothera-peutinnen kamen noch einmal zu mir, um sich von mir zu verabschieden und alles Gute zu wünschen. Ein bisschen Wehmut kam auf.

Wie wird es in Beelitz sein? Wie geht es weiter? Wird es mir dort gefallen? Fragen über Fragen, Hoffnungen aber auch Ängste waren in mir.

Dann ging alles sehr zügig. Um 09.45 Uhr fuhr der Krankentransport los und bereits um 10.30 Uhr kamen wir in Beelitz Heilstätten, im Fachkrankenhaus für neurologische Frührehabilitation, an. Ich wurde auf die Station F 11 (Frührehabili-tation) eingewiesen.

Zwei Schwestern warteten bereits im Zimmer, begrüßten mich freundlich, stellten sich vor und legten mich ins Bett. Es folgte eine kurze Untersuchung und Befragung.

Im Laufe des Tages lernte ich fast alle Personen kennen, die in den nächsten Tagen und Wochen meinen Alltag begleiten sollten, den Chefarzt, die Stationsärzte, meine Physio- und Ergotherapeuten, die Logopädin und natürlich das Pflegepersonal der Station.

Am Ende des ersten Tages in Beelitz war ich zufrieden und hatte ein gutes Gefühl was die nächste Zeit betrifft. Auch meine Frau war beeindruckt über den gut organisierten Ablauf auf der Station, die Freundlichkeit des Personals und den aufmerksamen und freundlichen Umgang mit den Patienten.

Ich war sehr glücklich, ein Einzelzimmer mit Fernseher und tollen Blick aus dem riesigen Fenster ins Grüne, zu haben. Auch die Terrasse mit Tisch und Stühlen vor meinem Zimmer wurde später oft genutzt. So konnte ich auch den beginnenden Frühling erleben. Sehr erfreut war ich darüber, dass den Patienten ständig kostenloses WLAN zur Verfügung steht.

Am zweiten Tag meines Aufenthaltes wurde eine Bestandaufnahme meiner aktuellen gesundheitlichen Situation, den Fähigkeiten und Fertigkeiten gemacht. Die Reha wurde mit einem motorisch niedrigen Ausgangsniveau begonnen. Es war abzusehen, dass sich die motorische Wiederherstellung langsam gestalten wird. Auch eine Psychotherapeutin kam zu mir und stellte nach einem ausführlichen Gespräch fest, dass ich voller Zuversicht in die Zukunft blickte und das auch könne.

Zu dieser Zeit war ich jedoch durch die Krankheit in allen Aktivitäten des täglichen Lebens stark bis vollständig eingeschränkt. Auch wenn die Erkrankung in der Regel einen positiven Verlauf zeigt, war bei mir, bedingt durch die axonale Variante des GBS, nicht davon auszugehen, dass ich im Rahmen der Rehabilitation die volle Gehfähigkeit wiedererlange.

Bis dahin glaubte ich dem Spruch "geht nicht, gibt's nicht". Jetzt machte ich eine andere Erfahrung. Ich versuchte mich zu bewegen, merkte aber, dass rein gar nichts passierte.

Alle vier Extremitäten waren vollständig gelähmt, es war keine Greiffunktion mehr vorhanden, die Finger unbeweglich, Lagerung und Transfer musste durch mindestens zwei Personen übernommen werden. Ein eigenständiges Waschen, An- und Auskleiden, Verrichtung der Notdurft, Essen oder auch nur der geringste Positionswechsel im Bett waren unmöglich. Nicht einmal den "Schwesternruf" (Klingel) konnte ich wegen fehlender Kraft in den Fingern betätigen. Auch eine Betätigung der Fernbedienung des Fernsehers oder das Umblättern einer Zeitungsseite war nicht möglich. Zu meiner Freude besorgte man mir eine Sprachsteuerung für den Fernseher, sodass ich diesen ohne fremde Hilfe bedienen konnte.

Aber es gab auch positive Dinge. Meine kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten waren vollständig vorhanden und nicht beeinträchtigt. Auch die Schulter konnte ich bewegen, sodass einige Armfunktionen kompensiert werden konnten. Und die Physio- und Ergotherapeuten sagten, dass ich gute Ausgangsvoraussetzungen für eine Genesung habe.

Am zweiten Tag in Beelitz kam große Freude in mir auf. Man setzte mich in einen Rollstuhl. Das Tollste daran war, ich konnte ihn bewegen. Mühsam und extrem langsam, auch nicht weit aber er rollte mit viel Anstrengung vorwärts. Das Mittagessen wurde mir endlich im Sitzen verabreicht. Danach war ich fix und fertig und freute mich auf die Mittagsruhe. Die täglichen Zeiten im Rollstuhl wurden immer länger. Bald saß ich frühs, mittags und abends im "Rolli" und bekam dort mein Essen verabreicht. In der Zwischenzeit konnte ich mich mit anderen Patienten der Station, sofern das möglich war, unterhalten und auch am Stationsleben teilnehmen. Vor allem die Spaziergänge durch den vor über einhundert Jahren angelegten Park der Klinik und auch der Besuch der Cafeteria bereiteten mir große Freude.

Ab der zweiten Woche erhielt ich wöchentlich einen detaillierten Therapieplan.

Dort waren alle Therapiemaßnahmen nach Uhrzeit, Art der Behandlung, Ort und Durchführender geordnet. Da ich stets recht viel Besuch bekam, konnte meine Frau den Verwandten, Freunden und Kollegen immer rechtzeitig Bescheid sagen, wann ich "greifbar" bin. Anfangs  wechselten die Therapien: Aktivierende Pflege mit Esstraining, Krankengymnastik, Ergotherapie, Motomed "Bein" oder "Arm". Etwas später kamen Stromtherapie, Stehpult, Balancetrainer, "Galileo" (Vibrationsplatte) und ab Ende Mai Krafttraining im Sportraum dazu.

Ständig machte ich kleine Fortschritte. Trotzdem ging alles sehr langsam vor sich. Die Nächte waren nach wie vor, trotz Medikamente, von Schmerzen im Rücken und Gelenken geprägt. Das tägliche Training war anstrengend und mühsam, auch für die Therapeuten. Meistens war ich danach schweißgebadet und völlig erschöpft.

Aber ich hatte das Glück, erfahrene Therapeuten und geduldige, einfühlsame Pfleger zu haben. Die Ersteren kannten sich mit der Krankheit GBS aus, hatten alle schon in der Vergangenheit mit GBS-Patienten zu tun und wussten genau, was und wie viel zu tun ist. Die Pflegekräfte taten alles Notwendige um mir das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Sorgfältig wurde ich in der Nacht gebettet, um Liegeschäden zu vermeiden. Regelmäßig erfolgte das Baden in einer mobilen Badewanne und bei schönem Wetter schoben mich die Schwestern im Rolli auf die Terrasse.

Ich fühlte mich auf dieser Station geborgen und gut versorgt. Die Ärzte, Schwestern und Therapeuten vermittelten mir ständig das Gefühl, dass ich es schaffen würde, wieder gesund zu werden.

Ein Schlüsselereignis muss ich hier unbedingt erwähnen.

Am 29. Mai, einem Montag, hatte ich meinen 63. Geburtstag. Obwohl bereits um 07.00 Uhr in der Früh eine Arbeitskollegin bei mir am Krankenbett zu Besuch erschien, eine WhatsApp nach der anderen auf meinem Smartphone eintraf und alle Pflegekräfte und Therapeuten gratulierten, war mir zum Feiern nicht zumute. Der Tag verlief dann wie jeder andere. Meine Frau kam heute etwas früher als sonst und nach einer halben Stunde im Stehpult machten wir uns auf den Weg in die Cafeteria.

Ich war ahnungslos.

Von meinem Chef und meiner Tochter organisiert, warteten dort weit über 30 Gäste.

Die Tische waren sehr dekorativ eingedeckt, Kuchen, Torten, Kaffee, Blumen und viele Geschenke standen darauf. Mir verschlug es die Sprache, Tränen rollten über die Wangen, ich war überwältigt in meinen Gefühlen. Meine ganze Familie, die Schwiegereltern, Verwandte, Freunde und vor allem Volker, mein Chef, sowie alle Kollegen waren anwesend. Es wurde eine unvergessliche Feier, die auch noch durch eine kulturelle, touristische Einlage bereichert wurde.

Volker hatte Frau Irene Krause engagiert, die uns bei einem "Mottenausflug" mit der Geschichte, Architektur, Anekdoten und dem Leben als Patient der alten Beelitzer Heilstätten vertraut machte.

Dieser Tag tat mir gut. Einerseits motivierte er mich aufs Neue, andererseits verpflichtete er mich auch alles zu tun, um wieder gesund zu werden.

Langsam aber stetig verbesserte sich meine Lage. Am 11. Juni schaffte ich es erstmals mit meiner rechten Hand, das Gesicht zu berühren und im Bett das linke Bein anzuziehen und aufzustellen.

Am 14. Juni hatte ich das erste Mal Schwimmtraining. Mit Mühe und Hilfe des Therapeuten konnte ich stehen und auch geführt ein paar Schritte machen. Das war fast zwei Monate nach Krankheitsbeginn. Stolz und Freude waren in mir. Jedoch hatte ich ein komisches Gefühl in den Beinen, so als ob es gar nicht meine sind. Bereits am 21. Juni konnte ich erstmals voll aufgerichtet im Wasser stehen. Ein Vorwärts-und Rückwärtsgehen am Stützbarren klappte ebenfalls. Zwar schlackerten meine Knie und Arme vorn wie hinten durch aber das sollte sich in der Folgezeit weiter verbessern.

Am 03. Juli war meine Zeit in der Frührehabilitation auf der Station F 11 beendet.

Der Umzug auf die Station R 12 ging schnell, da sich mein neues Zimmer auf der anderen Seite im gleichen Gebäudetrakt befand.

Wie bereits auf der Frührehastation traf ich auf Pflegekräfte und Therapeuten, die fachlich kompetent, erfahren im Beruf, stets freundlich und hilfsbereit waren.

Der personelle Aufwand auf dieser Station war etwas geringer. Das war vor allem dem besseren Gesundheitszustand der meisten Patienten geschuldet. Es wurde sehr viel Wert auf wachsende Selbstständigkeit der Patienten gelegt. Die wichtigen Dinge des täglichen Lebens, wie Waschen, An- und Ausziehen, Essen und Trinken oder auch der Gang/Fahrt  zur Toilette wurde ständig trainiert und geübt. Mitte Juli schaffte ich es erstmals, mit einem Löffel meinen Mund zu erreichen und einigermaßen selbstständig zu essen.

Die Therapien wurden erweitert und in den Anforderungen stets dem aktuellen Leistungsvermögen angepasst. Zeitweilig verzichtete ich zugunsten effektiven Krafttrainings auf die Wassertherapie, da diese mit Vor- und Nachbereitung viel Zeit in Anspruch nahm. Einzelne Übungen und Geräte wurden aus dem Programm genommen, neue kamen hinzu. Bald schon konnte ich den Recumbent-Stepper nutzen, später dann auch die Beinstemme und das Laufband. Auch an der Sprossenwand begann ich Anfang Oktober das Aufstehen und Setzen zu üben.

Was aber überhaupt nicht klappen wollte, war das eigenständige Aufstehen ohne fremde Hilfe. Jede Möglichkeit während der Therapien und in der Freizeit wurde genutzt um diesem Ziel näher zu kommen. Mit Hilfe der Therapeuten war ich bereits seit Ende September öfters in den Stand gebracht worden und auch mehrmals einige Meter mit dem hohen Gehwagen "gelaufen". Ab Mitte September wurde die Wassergymnastik wieder ein Mal wöchentlich ins Programm genommen und ich durfte auch samstags das Schwimmbad für eine Stunde zum Freien Schwimmen nutzen.

Der richtige Durchbruch sollte mir dann am 26. Oktober gelingen. Erstmals kam ich, vom Rollstuhl in den hohen Gehwagen, ohne fremde Hilfe in den Stand. Es kam noch besser. Mit meiner Therapeutin unternahmen wir einen "Ausflug" auf meine Station. Die Schwestern staunten nicht schlecht als sie mich ankommen sahen. Man sah ihnen die Freude darüber an, und mir wurden die Augen feucht.

Nach über sechs Monaten in der Rehabilitation denke ich des Öfteren über meine Entlassung in die häusliche Umgebung nach. Das Heimweh wird langsam unerträglich. Durch den Sozialdienst der Klinik hatten wir zu Beginn der Rehabilitation viele Informationen erhalten, was in Zukunft alles zu beachten ist.

Das waren auch Dinge, die wesentliche Einschnitte in unser Familienleben bedeuten würden, wie zum Beispiel ein Umzug in eine barrierefreie Wohnung, der mögliche, zeitweilige Aufenthalt in einem Pflegeheim oder auch der Umgang mit einer mehr- oder minderschweren Behinderung. Würde ich später noch Auto fahren und unserem Hobby, dem Segeln, nachkommen können?

Mittlerweile hat sich mein Zustand soweit gebessert, das ich an ein fast normales Leben denken kann. Meine Mobilität ist wesentlich besser geworden. Das Fortbewegen innerhalb des Wohnbereiches sollte mit dem hohen Gehwagen, später mit Rollator kein Problem darstellen. Transfers zum Bett oder auch in den PKW schaffe ich derzeit mit dem Rutschbrett mühelos. Stundenlanges Sitzen oder auch Positionswechsel im Bett funktionieren problemlos. Das Waschen und Ankleiden des Oberkörpers geht inzwischen auch ohne fremde Hilfe. Selbst das Essen, Trinken, Zähneputzen und Rasieren fallen mir nicht mehr schwer. Die Benutzung der Toilette und das Baden werden mir in Zukunft durch kleine Hilfsmittel erleichtert. 

Die vergangenen Wochen und Monate waren die schwierigsten und mühsamsten meines Lebens. Die Tatsache, dass ich die Krankheit von Anfang an als Realität akzeptierte und mir nicht ständig die Frage stellte, "Wieso gerade ich?" gab mir die Kraft, die weiteren Schritte in Richtung Genesung zu gehen. Ich habe mich mit dieser  Erkrankung arrangiert in dem Glauben, dass meine Krankheit zeitlich begrenzt ist und ich sie überwinden werde.

Ich danke den Ärzten, Schwestern und Pflegern, den Therapeuten und anderen Mitarbeitern der Neurologischen Rehabilitationsklinik in Beelitz mit denen ich bisher zu tun hatte.

Deren hohes Engagement den Patienten gegenüber, der freundliche, stets hilfsbereite Umgang und die hohe fachliche Kompetenz haben mir die Zeit in der Reha erträglich gemacht.  Der gut organisierte Ablauf der Therapien und des Stationsalltages sowie die modernen Behandlungsmethoden und die gute Ausstattung der Klinik, nicht zuletzt der Patientenzimmer, trugen ebenfalls wesentlich zur weiteren Gesundung bei.

Und eines muss unbedingt noch erwähnt werden. Das Essen war während der gesamten Zeit meines Aufenthaltes in Beelitz ausgesprochen gut, geschmacklich einwandfrei, stets sehr vielfältig und ausreichend.

Großen Dank auch an alle, die mich in dieser schweren Zeit besuchten. Vor allem meiner lieben Frau die jeden Tag, meistens stundenlang, bei mir war.

Und sollte ich doch einmal traurig und missgestimmt sein, dann denke ich an die Zeit der Lähmung und die vielen Wochen im Rollstuhl zurück und schaue wieder optimistisch in die Zukunft.

Beelitz-Heilstätten, im Oktober 2017